Hilfe, ich habe drei Kinder unter zwei (drei, vier, fünf…)! – Bedürfnisse stehen (nie) in Konflikt

Heute sind meine Zwillinge sechs Jahre alt geworden. Es gibt so viele Themen, die mir durch den Kopf gehen, wenn ich an ihre Geburt an jenem 12. Dezember 2010 zurückdenke, dass es mir schwerfällt, mich auf eines davon zu fokussieren. Damals hatte ich nur einen Wunsch: hoffentlich, überleben sie ihre Geburt und das, was daraufhin folgen mag. Tief in mir wusste ich, dass alles gut gehen würde und nun feiern sie bereits ihren sechsten Geburtstag.

Ich werde oft gefragt, wie ich es schaffe, mehreren Kleinkindern gerecht zu werden. Und das begann schon lange bevor unser drittes Kind zur Welt kam, was gerade einmal ein Jahr später gewesen ist. Die Botschaft über Zwillinge löst in der Regel zwei verschiedene Reaktionen beim Gegenüber aus: entweder sie finden es toll, weil man es dann ja angeblich mit einem Abwasch „geschafft“ hat, es so niedlich ist oder aber man wird bemitleidet.

Und dann komme ich und erzähle auch noch über Bedürfnis- und Beziehungsorientierung. Darüber, dass wir nicht erziehen und davon, dass ich immer auch außerhalb der Familie sehr engagiert bin. Sei es in beruflicher Hinsicht oder ehrenamtlich.

Wie geht das bloß alles zusammen?

Nein, ich bin keine Superwoman. Nein, ich lasse meine Kinder nicht durch andere stattdessen erziehen und schiebe sie zu diesem Zweck ab. Und nein, wir leben nicht im Chaos und in Anarchie.



Wie ist das also mit mehreren kleinen Kindern und der Bedürfnisorientierung wirklich?

Drei unter zwei! Drei unter drei! Drei unter vier! Drei unter fünf! Drei unter sechs…! Drei Mal Tragekinder. Drei Kinder zeitgleich in der Autonomiephase. Drei Kinder in der Wackelzahnpubertät

Kann man ihnen überhaupt gerecht werden? Geht es nur um die Bedürfnisse der Kinder? Werden sie sich selbst überlassen oder muss man sie dann doch erziehen?

Hinter solchen Fragen, Ängsten und Gedankengängen steht ein großer Irrtum, nämlich der, dass Bedürfnisse miteinander in Konflikt stehen könnten. Können sie nicht.



Bedürfnisse stehen nie miteinander in Konflikt. Nie!

Glaubst du nicht?

Vielleicht sogar, weil du oft im Alltag den Eindruck hast, dass die Bedürfnisse des einen denen des anderen im Wege stehen? Du kommst müde von einem langen Arbeitstag nach Hause und dein Kind springt durch die Gegend wie ein wild gewordenes Duracell Häschen? Häufig enden solche Konflikte in einem Machtkampf, bei dem wir Eltern unsere Bedürfnisse übergehen oder doch die Machtkarte ziehen. Es scheint nur ein Entweder-Oder zu geben. Tränen so oder so vorprogrammiert. Sag ich Ja zu dir, ist es ein Nein zu mir und vice versa.

Kennst du das Lied von Rolf Zuckowski?

Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst. [...]

Unsere guten Wünsche haben ihren Grund: bitte bleib noch lange glücklich und gesund.

Dich so froh zu sehen, ist was uns gefällt, Tränen gibt es schon genug auf dieser Welt. [...]

Wir haben dieses Lied heute natürlich auch gesungen. Und diese Passage geht mir schon den ganzen Tag durch den Kopf. Viel zu oft wird geglaubt, Kindern etwas beibringen zu müssen, um sie auf die Welt und das Leben vorzubereiten. Es wird sogar oft bewusst in Kauf genommen, dass sie leiden bei dem, was wir Erziehung nennen. Schließlich ist es zu ihrem Besten. Das Lied hingegen sieht es anders, denn „Tränen gibt es schon genug auf dieser Welt.“. Wir brauchen also kein Leid zu forcieren und ich bin wirklich glücklich, meine Kinder nicht nur gesund, sondern auch froh zu sehen.

Doch Tränen lassen sich nicht wirklich immer vermeiden. Das Leben birgt genug Gelegenheit dafür, auch ohne unser Zutun. Die gute Nachricht aber ist: Bedürfnisse gehören nicht dazu. Wir müssen nicht mit unseren Kindern in den Kampfring steigen, um nicht völlig unterzugehen. Bedürfnisse stehen wirklich niemals im Konflikt zueinander und lassen sich auch in einem großen Haushalt mit vielen Menschen wunderbar „UNDen„.



Dein Bedürfnis UND mein Bedürfnis

Es sind unsere Strategien, die sich oft gegenseitig torpedieren und den Anschein eines „Entweder-Oder“ wecken. Strategien sind Wege, die wir gehen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. In der Regel benutzen wir immer wieder dieselben Strategien zur Erfüllung unserer Bedürfnisse und besonders gerne nutzen wir dazu die Menschen, die uns am nächsten sind. Kinder haben oft gar keine andere Wahl. Umso jünger sie sind, desto abhängiger sind sie auch von ihren nahen Bezugspersonen um ihre Bedürfnisse erfüllt zu wissen. Eine enorme Verantwortung für uns Eltern, aber wir müssen nicht unter dieser vermeintlichen Last untergehen oder unsere Kinder präventiv erdrücken.



Auch wir Erwachsene tun uns mit Bedürfnissen schwer, da wir oft keinen einfachen Zugang dazu haben

Das liegt daran, dass unsere Gesellschaft, unsere Erziehung, ja unsere Mitmenschen und Eltern diese weder wahrgenommen, noch bestätigt haben. Ohne solch eine Bestätigung fühlen sich Kinder allerdings falsch. Wir entfremden uns von uns selbst und haben gar das Gefühl, gar keine Bedürfnisse haben zu dürfen. Da wir aber – anders als unsere Kinder – alleine für die Erfüllung unserer Bedürfnisse verantwortlich sind, müssen wir lernen, diese (wieder) wahrzunehmen und sie uns zuzugestehen.



Anders als Strategien lassen sich Bedürfnisse nicht sofort sehen

Wir nehmen das Verhalten unseres Gegenübers wahr, hören was diejenige Person sagt. In uns spüren wir etwas, können aber oft selbst dies nicht richtig zuordnen, dabei sind unsere Gefühle Wegweiser zu unseren Bedürfnissen. Schaffen wir aber, das Verhalten anderer und unsere Gefühle als Ausdrucksform und als Hilfsmittel von Bedürfnissen zu verstehen, unserem Gegenüber wirklich zuzuhören und erkennen, worum es demjenigen tatsächlich geht, sind wir in der Lage uns einzufühlen. Das liegt daran, dass wir alle dieselben Bedürfnisse in uns tragen und diese uns daher vertraut sind. Deswegen können wir uns empathisch verbinden und das ist der Grund, warum Bedürfnisse auch nie in Konflikt stehen können.



Wir denken aber zunächst in Strategien und das führt zu Konflikten

Mit uns selbst und anderen. Der Grund dafür ist die Alternativlosigkeit mit der wir eine Strategie verfolgen. Wir schießen uns regelrecht darauf ein. Beispiele für solche anerzogen und sozialisierten Strategien, die scheinbar ohne Alternative daherkommen, gibt es im Alltag mit kleinen Kindern eine ganze Menge:

  1. Das elterliche Bedürfnis nach Ruhe lässt sich nur erfüllen, wenn die Kinder früh ins Bett gehen und schlafen.
  2. Zweisamkeit bedingt getrennte Betten und Zimmer von Eltern und Kindern sowie die Abendstunden.
  3. Zahnpflege ist nur durch tägliches und mehrmaliges Zähneputzen morgens und abends möglich.
  4. Um zu lernen, müssen Kinder in die Schule.
  5. Suchtprävention funktioniert durch Fremdregulation. Ich denke da an digitale Medien, Süßigkeiten oder Spielzeugfreie-Tage in Kindertagesstäten zum Beispiel.
  6. Auf eine „Tat“ müssen „Konsequenzen“ folgen. Dass es sich hierbei um eine herkömmliche Strafe handelt, verrät das Verb „müssen“…

Diese Aufzählung ließe sich wohl noch lange weiterführen. Dass diese Strategien allerdings kein Alleinstellungsmerkmal haben, lässt sich gut an anderen Beispielen erkennen, die bereits auch im Mainstream einen Wandel erfahren haben: früher dachte man, dass es keine Alternative zur körperlichen Bestrafung von Kindern gibt. Heute ist es sogar gesetzlich verboten.

Erkennen wir also die Bedürfnisse hinter den jeweiligen Strategien und werden wir uns unserer Verantwortung bewusst, so können wir flexibel agieren und kreativ werden. Wir fühlen uns frei, auch eine andere Strategie zu wählen. Dies wiederum hat einen schönen und wichtigen Nebeneffekt, denn es lässt nicht das Gefühl der ständigen Fremdbestimmung aufkommen, worunter viele Eltern leiden und wodurch sie schnell in die Opferrolle geraten. Hier werden Eltern wieder selbstwirksam in ihrem Tun und ein „UNDen“ der Bedürfnisse aller Beteiligten kann eher gelingen.

Ich gehe dann noch eine Runde im Familienbett kuscheln und das Bedürfnis meiner Kinder nach Unterhaltung sowie meines nach Ruhe durch ein Paar spannende Geschichten erfüllen. Ganz nebenbei füllt sich auch noch unser Nähe-Tank auf…

Edit: das haben wir dann doch noch der Veröffentlichung vorgezogen… 😉

Saluditos & Axé

Eure

Aida S de Rodriguez

 

 

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Foto © Alena Stalmashonak, Fotolia.

About The Author

Aida S. de Rodriguez

Aida ist Mutter eines Zwillingspärchens und eines ein Jahr jüngeren Sohnes. Ihre Kinder wachsen interkulturell, mehrsprachig sowie bedürfnisorientiert auf. Als Coach, Beraterin und Trainerin begleitet sie Menschen rund um die Themen Unerzogen, Selbstwirksamkeit, Transformationsprozesse und Diversity. Ihre Vision ist ein gleichwürdiges Miteinander aller Menschen. Dafür setzt sie sich für die Rechte von Kindern auf gewaltfreien Umgang sowie auf ein selbstbestimmtes Leben und Lernen ein.

3 Comments

  • Anina

    Reply Reply 14. Dezember 2016

    Die Schwierigkeit sehe ich in der Zeit.. Genügend Zeit für jedes einzelne zu finden. Oft höre ich alle drei gleichzeitig rufen, alle wollen etwas erzählen, gleichzeitig gehört werden. Das finde ich schwierig im beziehungs- und bedürfnisorientierten Familienleben mit 3 Kindern.

    • Aida S. de Rodriguez

      Reply Reply 30. Juni 2017

      Unbedingt! Da hilft vor allem ganz viel Selbstfürsorge, so dass genügend Ressourcen frei sind und wir auch solche herausfordernde Situationen bewältigen können.

  • Anina

    Reply Reply 14. Dezember 2016

    Das Schwierige am bedürfnis- und bindungsorientierten Familienleben mit drei Kindern finde ich ist, Zeit für alle zu finden. Oft wollen alle drei gleichzeitig gehört werden.

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