Was tun, wenn Kinder nicht ins Bett wollen und die Akkus leer sind?

Haltung! Alles eine Frage der Haltung! Aber nun der Reihe nach…

Unerzogen bedeutet Abwesenheit von Erziehung. Punkt.

Und unerzogen „funktioniert“ nicht. Punkt. Es gibt nicht Lösung x für Problem z. Es geht einzig und allein um Beziehung. Es geht um Liebe. Es geht um Verantwortung. Für sich. Für die Kinder. Für die eigenen Beziehungen. Und es geht um Loslösung von Glaubenssätze und dadurch um das Ermöglichen von „thinking outside the box“. Um Lösungen, die Beziehungen zulassen und diese eben nicht „abwehren“. Das wäre dann wieder Erziehung. ..

Ja, ich kann verstehen, dass man nach einem langen Arbeitstag, nach einer anstrengenden Arbeitswoche, nach vielen intensiven Wochen oder gar Monaten einfach mal Zeit für sich braucht. Oder sich da das Gefühl einschleicht, auch der Paarbeziehung gerecht werden zu wollen oder müssen. Kinder, Arbeit, Haushalt und etliche Verpflichtungen mehr. Der normale Wahnsinn einer Durchschnittsfamilie.
Menschlich. Verständlich. Wichtig. Mir durchaus bekannt. Und gesund, dass der Körper und der Geist nach Auszeiten für sich ruft.
Die Frage ist, ob der Geist nach Kinderfreizeit schreit bzw. ob die Lösung immer nur beim Kind zu suchen ist. Aber dazu später mehr…

Auf der anderen Seite geht es um kleine Kinder.

Sie gehen in den Kindergarten. Sie haben einen anstrengenden Tag. Eine anstrengende Woche. Viele anstrengende Wochen und Monate. Und sie sollen früh ins Bett. Um fit zu sein für den anstrengenden Alltag, den sich die Eltern ausgedacht haben. Sie sehen, dass sie den Tag ohne ihre liebsten Menschen verbringen und sie vermissen sie. In der Regel wissen sie nicht viel vom Alltag der Eltern und sie wissen nicht, was alles Spannendes passiert, wenn sie schlafen sollen. Was sie mitbekommen, ist, dass sie den ganzen Tag woanders sind – und abends auch nicht erwünscht.
Aber es fehlt ihnen an Möglichkeiten, dies so zu artikulieren. Es überhaupt zu erfassen. Sie sind auf uns angewiesen. Für jegliche Bedürfnisse. Und sie haben das Bedürfnis nach Nähe und Beziehung. Das Grundnahrungsmittel für die Seele…

Und da stehen wir nun mit unseren Bedürfnissen. Nach Unterhaltung, Ruhe, Nähe. Und unserem Wunsch nach Zweisamkeit.

Und siehe da, unsere Bedürfnisse und die der Kinder gehen ja gar nicht auseinander! Alle bedürfen wir Ruhe, Nähe, Unterhaltung und Beziehung! Der Unterschied ist, wir Erwachsene halten uns an altbewährtem fest, während die Kinder keine Alternative haben. Da ist Frust vorprogrammiert. Ständiger Kampf. Ständige Anspannung.

Ihr Eltern könnt das Problem lösen. Nur ihr. Ihr seid verantwortlich für die Beziehung zum Kind und für die Stimmung im Haus. Ihr ganz alleine. Die Frage ist: Wie kommen wir alle zur Ruhe? Wie bekommen wir alle Unterhaltung?
Meine persönlichen Lösungswege: gemeinsamer Filmabend. Nähe, Ruhe, Unterhaltung. Oder gemeinsam im Bett lesen. Oder den Kindern eine Tube Creme geben und auf dem eigenen Rücken spielen lassen. Oder gemeinsam in die Therme. Oder Geschichten erzählen. Und Familienbett… Oder oder oder.

Was mache ich aber mit meinem berechtigten und dringenden Wunsch nach Zeit für mich?

Mehr als Wunsch ist es das Bedürfnis, welches meine geistige und emotionale Gesundheit sichert. Hier die Frage: Warum ist die Lösung nur in der Reduktion der Familienzeit zu finden? Wo sonst kann ich diese Auszeiten einlegen? Kann eine Putzkraft die Wohnung übernehmen? Kann ich die Einkäufe automatisiert per Internet erledigen? Kann ich meine Arbeitszeit kürzen? Kann mich mein Partner besser unterstützen? Muss ich vielleicht unseren Lebensentwurf überdenken?
Mein Lösungsweg: Flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitreduktion – und nun mittlerweile – meinen gesamten Lebensentwurf in Frage stellen und schrittweise ändern.

Und was ist mit der Paarbeziehung?

Hier würde ich das vernünftige Gespräch ansetzen – nicht bei den kleinen Kindern (wie gerne vorgeschlagen). Was letztendlich nur ein verzweifelter Versuch wäre, aus Überforderung die Verantwortung abzuschieben
Ihr habt euch entschieden Eltern zu werden. Ihr tragt Verantwortung für diese Familie. Nehmt diese Rolle an. Wir telefonieren zum Beispiel in der Mittagspause, um Dinge zu besprechen. Für Zweisamkeit findet sich immer eine Lücke. Längere Unternehmungen lassen sich mit interessanten Ausflügen für die Kinder kombinieren. Es dauert nicht mehr lange und sie wollen bei Freunden übernachten oder ihre Ruhe vor euch. Genießt diesen klitzekleinen Augenblick eures Lebens. Daran könnt ihr auch als Paar wachsen und danach die gemeinsame intensive Zeit noch mehr genießen. Ein Gespräch zwischen Erwachsenen über Lebensphasen bringt sicher Entspannung und reduziert erlernte Erwartungen.

Achtsamkeit mit sich und fehlende Unterstützung:

Mir ist es bewusst, dass Menschen unterschiedlich sind. Und zu erkennen, was man braucht, ist wichtig. Ich bin zum Beispiel auch mal gerne für mich ganz alleine oder arbeite konzentriert an etwas. Und diesen Raum versuche ich mir zu nehmen. Ich bin auch nicht sonderlich geduldig und ein elender Perfektionist. Und es macht mich kirre, wenn ich ständig gefragt und als Person verlangt werde. Das zu erkennen ist wichtig. Da ruhen andere ganz anders in sich. Ich gehöre leider nicht dazu. Bin auf dem Weg. Arbeite an mir. Schaue, was ich für mich tun kann, um die Mutter zu sein, die meine Kinder brauchen. Da braucht man sich auch nichts schön zu reden. Führt zu nichts. Die Frage ist, wie gehe ich mit diesen Selbsterkenntnissen um, wenn ich entschieden habe, keine Lösungen am Kind oder auf Kosten des Kindes zu suchen.

Meine Familie, auch die angetraute, lebt einmal über den Teich. Meine Mutter immerhin „nur“ 600 Kilometer weit weg. Und auch sie hat ein Leben. Ich bin gerade dabei mein Arbeitsleben zu überdenken. Allerdings nicht der Work-Life-Balance wegen, sondern weil alles Leben ist und ich leben will. Selbstbestimmt. Gesund. In Beziehung.

Ich verstehe dieses immense Bedürfnis nach Ruhe und Entspannung. Den Traum einfach mal in den Tag hineinzuleben. Einfach nur mal Pause haben. Auch um sich wieder besser auf Beziehung einlassen zu können. Oh, wie gut ich es kenne. Und ich kenne extreme seelische, körperliche und emotionale Erschöpfung. Und ich weiß, dass es wichtig ist achtsam mit sich zu sein. Der Wunsch nach Ruhe ist völlig legitim und ich kann ihn mit jeder Faser meines Körpers nachfühlen. Ich halte nur nichts von einer Lösung am Kind. Das ist zwar das, was wir in der Gesellschaft lernen und leben, aber ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht der Weg sein kann.

Auch ich könnte mir derzeit nicht vorstellen auf den Kindergarten zu verzichten. Das heißt aber nicht, dass ich mir ein Leben ohne nicht vorstellen kann. Nur jetzt in unserer Realität wäre dies absurd und kontraproduktiv. Ja, vielleicht sogar schädlich für unsere Beziehungen und seelische Gesundheit. Aber das ist doch Mist! Und traurig!

Ich kenne das Dilemma des modernen Lebens und spüre täglich die Folgen. Und suche verzweifelt nach dem Ausgang oder besser Eingang in eine bessere Alternative. Und diese versuche ich eben zu gestalten. Versuche aber auf dem Weg dahin möglichst wenig Kollateralschaden anzurichten. Besonders bei meinen Kindern.

Wenn neue Lösungswege gefragt sind:

Natürlich kann es eine Option sein, die Kinder zeitig ins Bett zu bringen. Prima, wenn sie dies mitmachen. Super, wenn alle zufrieden sind. Offenbar ist dies aber manchmal nicht (mehr) möglich. Die Kinder haben andere Wünsche, Ideen und Vorstellungen. Es klappt nicht und lässt sich nicht gewaltfrei und ohne Erziehung durchsetzen. Und nun? Und genau das ist doch der Punkt. Jetzt sind neue Lösungswege gefragt. Diese Gesellschaft muss (!) sich ändern und sie wird es tun. Unser Beitrag passiert mit jeder Entscheidung. Und diese Veränderung beginnt im Kopf. Die Frage lautet also: wie kommst du zu Ruhe, Hobbies und Partnerzeit trotz und vor allem mit (!) Kindern? Wie schaffst du es sogar zu genießen? Was musst du innerlich tun? Was äußerlich am Rahmen gegebenenfalls ändern oder anpassen? Deine Kinder sind für die nächsten Jahre maßgeblicher Bestandteil deines Lebens. Delegiere sie nicht weg, sondern zeige ihnen Alternativen dazu. Dann hast du gute Chancen nicht auch eines Tages weg delegiert zu werden…

Gestern sah ich eine junge Frau alleine mit ihren drei kleinen Kindern im Spielzeugladen. Mein absoluter Alptraum. Und sie? Sie hat es genossen. Wirklich und ehrlich. Das war unglaublich, was sich da abspielte. Sie zeigte ihren Kindern freudig die Spielsachen. Sie lachten und freuten sich zusammen. Dazu bin ich heute noch nicht in der Lage. Es überfordert mich. Mir fehlt die Ruhe und innere Gelassenheit. Aber vielleicht kann ich es morgen oder in einem Jahr oder in fünf. . .
Die Lösung ist in uns. Da sollten wir suchen.

Bedürfnisse sind universell. Wir haben alle die gleichen. Bei manchen werden aber bestimmte weniger, bei anderen mehr erfüllt und manche Menschen schaffen es besser als andere für sich zu sorgen. Kinder sind aber bei der Erfüllung ihrer Bedürfnisse in der Regel auf uns angewiesen.
Es sind unsere Strategien zur Erfüllung der Bedürfnisse, die unterschiedlich sind. Und genau deswegen können wir wunderbar voneinander lernen. Denn die gute Nachricht ist: es lassen sich über verschiedene Strategien dieselben Bedürfnisse befriedigen! Und manchmal hat jemand anderes eine gute Idee…

 

Aida S. de Rodriguez

 

Den Artikel habe ich zu Beginn von „Die Physik von Beziehungen“ geschrieben. Dort schreibe ich mit anderen wunderbaren Frauen rund um das Thema „unerzogen“. Da mich aber nun heute mehrfach Anfragen in Bezug auf dieses Thema erreicht haben, habe ich mich entschieden, es auch hier zu publizieren. Der Artikel ist als emotionale Antwort auf eine konkrete Anfrage verfasst worden.

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