Trauer gehört zum Leben dazu und wir dürfen mit unseren Kindern darüber sprechen!

Unsere Kinder haben das Recht zu trauern. Sie haben auch das Recht über unsere eigene Trauer zu erfahren. Wir neigen dazu unsere Kinder vor dem Leben schützen und zugleich ihnen Dinge beibringen zu wollen, die wir für wichtig erachten. Dabei bietet das Leben bereits alle wichtigen Lernaufgaben selbst. Die Frage ist, wie so oft, wie wir mit diesen Aufgaben umgehen und wie wir unsere Kinder dabei begleiten. Es ist einfach vollkommen unnötig und kontraproduktiv künstliche Situationen zu kreieren. Anstatt unsere Kinder dadurch auf „das Leben vorzubereiten“ (sie leben doch bereits, oder nicht?), schaden wir ihrer Resilienz und stellen ihnen zusätzlich Steine in den Weg. Trotz aller guten Absichten.



Unsere Kinder trauern manchmal um Dinge, die uns banal erscheinen

…aber wichtig ist doch, dass sie (!) trauern. Und Trauern ist anstrengend und oft sogar beängstigend. Es ist ein Begreifen über die Vergänglichkeit und nicht selten auch ein Gefühl von Ohnmacht.

Wir neigen dazu die Trauer unserer Kinder nicht all zu wichtig zu nehmen – sei es um ein geliebtes Spielzeug, um das Schnuffeltuch, den Schnuller, ein Elternteil nach der Trennung oder eines Freunds, der weggezogen ist oder dessen Eltern wir nicht leiden können und deswegen den Kontakt abbrechen. Ja, oft geht es auch um die Erwachsenen im Kindergarten, um die Erzieherin, die aufgrund der schlechten Bedingungen sich womöglich einen anderen Job sucht und unseren Kindern als Bezugsperson abhandenkommt. Dabei wollen wir ja, dass unsere Kinder eine starke Bindung erfahren und doch wird ihre Trauer oft nicht gesehen oder kleingeredet: „ist doch nicht so schlimm“, „nun ist es mal gut“, „deine neue Erzieherin ist doch auch nett“, „du findest schnell neue Freunde“.

Beim Thema Trauer geht es oft auch darum wie viel wir unseren Kindern zumuten können. Ist es legitim unseren Kindern zu erzählen, dass die geliebte Oma an Krebs erkrankt ist und wir nicht wissen, wie es ausgehen wird? Ist es richtig dem Kind zu erzählen, dass wir gerade traurig sind, weil ein uns wichtiger Mensch gestorben ist? In meinen Augen ist es eine Selbstverständlichkeit meine Kinder teilhaben zu lassen, in all den Dingen, die sie auch betreffen. Und wenn ihre geliebte Oma krank ist und ich darüber traurig bin, so betrifft es mein Kind doppelt und dreifach. Zum einem, weil meine Trauer Auswirkungen auf mein Gemüt und somit auch auf unsere Beziehung hat, zum anderem, weil es Menschen betrifft, die für sie ebenfalls wichtig sind: mich und die Oma, im genannten Beispiel. Damit meine ich nicht, dass wir Kindern Informationen aufdrängen sollen, sondern dass wir ihre Fragen, die gewiss kommen werden, ehrlich beantworten und ihre Trauer über das Erfahrene begleiten, weil das tatsächlich das Leben ist. Unsere Kinder nehmen es wahr, wenn es uns nicht gut geht und es ist für sie meist einfacher mit der Wahrheit umzugehen als mit doppelbödige Botschaften, die sie nicht einzuordnen wissen und sie langfristig verunsichern.



Kinder haben auch das Recht sich zu verabschieden und Prozesse begleiten zu dürfen

Ich habe als Kind erfahren, was es bedeutet geschützt zu werden und die Konsequenzen verfolgen mich bis heute: kurz vor meinem achten Geburtstag klingelte es an unsere Haustür. Damals hatten wir kein Telefon zu Hause, so überbrachte unsere Nachbarin meiner Mutter die Botschaft über den Tod meiner Patentante. Ich lag damals noch im Bett, war gerade aufgewacht und hörte wie meine Mutter mit meinem älteren Bruder besprach, es mir erst einmal nicht zu erzählen. Man hatte mir bereits nicht erzählt, dass sie seit Wochen im Krankenhaus lag und um ihr Leben kämpfte. Ich weinte, traute mich aber nicht, mich mitzuteilen. Mein anderer Bruder entdeckte mich und verriet meiner Mutter, dass ich weine. Ich fühlte mich ertappt, hatte den Eindruck etwas falsch zu machen, also wischte ich meine Tränen weg und tat so, als ob es mir bestens ging. Ich dachte, dass meine Trauer nicht erwünscht war, kein Platz hatte. Die Beerdigung fand ohne mich statt – „schließlich war ich doch ein Kind“. Bis heute war ich noch kein einziges Mal an ihrem Grab, obwohl es mich seither begleitet und beschäftigt. Das werde ich beim nächsten Aufenthalt in Brasilien nun nachholen.

Mit schwere Krankheiten im nahen Umfeld und mit dem Verlust meines Schwiegervaters gehen wir in meiner Familie anders um. Meine Kinder hatten leider nicht die Gelegenheit mit ihrem Großvater aufzuwachsen. Dennoch ist er sehr präsent und auch unsere aller Trauer darüber, insbesondere die meines Mannes, darf hier Thema sein. Wir besuchen in Mexiko jedes Mal seine Ruhestätte und meine Kinder wünschen sich immer Fotos, wenn mein Mann alleine seine Familie besucht. Trotz all dem, waren wir ein Stückweit blind für das, was gerade mit unserer Tochter passiert(e).



In meinem Leben scheinen derzeit verschiedene Themen an der Reihe zu sein

Das eine sind Konflikte, nicht ohne Grund behandelt mein erster Kurs genau dieses Thema, das andere ist eben Trauer. Wie eng diese Dinge miteinander verstrickt sein können, wird mir gerade so richtig bewusst. Viele Menschen lösen Konflikte dadurch, dass sie sich diese entziehen. Sie legen die Themen nicht auf dem Tisch, ziehen sich zurück und treffen irgendwann für sich Entscheidungen, die auch das Leben anderer maßgeblich beeinflusst. Eine mitunter sinnvolle und auch legitime Strategie, zugleich aber auch eine, die der anderen Partei jede Chance der Partizipation, Autonomie und Selbstwirksamkeit nimmt. Diese müssen mit vollendeten Tatsachen eben klarkommen. Besonders schmerzhaft ist es, wenn jemand dadurch ganz plötzlich eine wichtige Person aus seinem Leben verabschieden muss, insofern ihm wenigstens dazu die Chance bleibt.

Meine kleine, 6,5 Jahre alte Tochter hat im Verlauf des letzten Jahres einige wichtige Menschen aus ihrem (alltäglichen) Leben verabschieden müssen – Bezugserzieherin und Freundinnen – und trauert sehr. Ihre Trauer zeigt sich auf vielfältiger Weise und findet Ausdruck sowohl in starke körperliche Veränderungen als auch auf emotionaler Ebene. Die Auswirkungen sind so stark, dass sie als ehemallige, extrem Frühgeborene eine Retraumatisierung erlebt hat. Um darauf zu kommen und es besser greifen zu können, müsste ich jedoch die Dimension ihrer Trauer erst einmal erkennen und verstehen lernen. Das Leben gab mir dazu eine sehr schmerzhafte Gelegenheit: Anfang des Monats verstarb eine liebe Freundin, dessen Beerdigung wenige Tage zurückliegt…



Trauer verläuft in Wellen

Sie trifft dich manchmal aus dem Nichts und ist die Welle groß genug, so haut sie dich durchaus auch mal komplett um. Es tut weh und manchmal glaubst du sogar unterzugehen. Dann zieht sich die Welle wieder zurück, lässt Raum für andere Dinge und klopft irgendwann wieder an. Meistens sanfter als zuvor, bis sich ein Klabautermann wieder emportürmt. Diese sind jedoch seltener und doch so schmerzhaft wie am ersten Tag.

Mein Mann trauert zum Beispiel nun bereits seit 7 Jahren um den Verlust seines Vaters und das ist vollkommen normal. Nur ist Trauer eines dieser vielen Tabus, worüber nicht gesprochen wird und wodurch der Trauernde sich zur Einsamkeit und zum Rückzug verdammt sieht. Vielleicht ist auch das mitunter der Grund warum wir viel zu wenig mit unseren Kindern über unsere Trauer sprechen und sie schützen wollen, dabei ist letzteres unmöglich und es würde ihnen sicherlich helfen mit der eigenen Trauer umzugehen, wenn sie über die unsere erfahren dürften. So erlebe ich es derzeit mit meiner Tochter. Wir sprechen über ihren Großvater, den sie leider nie persönlich kennenlernen dürfte, über meine Freundin, die viel zu früh gegangen ist, und über ihre Freundinnen und Wegbegleiterinnen, die nicht mehr den Alltag mit ihr teilen oder aus ihr Leben schlicht verschwunden sind. Wir erleben Verbindung in unsere Trauer und finden auf diese Weise Wege diese zu verbalisieren. Und ich? Ich verstehe nun, warum mein Kind plötzlich wieder so viel schnullert und panisch wird, wenn ich das Haus alleine verlassen möchte. Warum sie aus dem Nichts heraus schreckliche Laune bekommt und „nach Gründen sucht“, um zu weinen. Warum sie mehr isst und viel Nähe und Anerkennung braucht. Warum sie mir ständig sagt, dass sie mich liebt und mir wie ein Schatten folgt…

Anders als vielen von uns Erwachsenen, gelingt es Kindern noch sehr gut sich zu spüren und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen – auch wenn auch sie es nicht immer einordnen können. Manchmal leben sie sogar unsere Gefühle aus, wenn wir uns so vehement dagegen wehren diese zuzulassen. Und sie machen ihre eigenen immer deutlicher, umso mehr wir diese zu unterdrücken versuchen, es sei denn, uns gelingt es, sie tragischer Weise für immer zu verstummen. Oft denken wir sogar, unsere Kinder würden unsere Wünsche und Anliegen nicht verstehen können, dabei sind wir es, die ganz oft nicht verstehen, was unsere Kinder uns da gerade kommunizieren und dass das, was sie nicht können, ist aufzuhören auf sich und ihre Gefühle aufmerksam zu machen. Es ist so wichtig, immer und immer wieder die Vogelperspektive einzunehmen und Dinge mit ein wenig Abstand zu betrachten, um die Aktionen und Reaktionen unserer Kinder besser einordnen zu können anstatt verhaltensfokussiert Symptome zu bekämpfen und die Ausdrucksfähigkeit unserer Kinder zu limitieren. Es ist so wichtig, sich immer wieder auf eine Haltung, getragen von Neugier und Offenheit, zurück zu besinnen.

Menschen und Dinge kommen und gehen. Das ist wohl wahr… Mit Mitte Dreißig übe ich mich in Loslassen und Annahme. Ein langer Prozess, der einiges an Bewusstsein abverlangt. Wie schwer muss es für ein Kind sein, ein kleiner, junger Mensch, Dinge und Menschen loslassen zu müssen, wenn es gerade erst lernt sich abzunabeln und die eigene Identität herauszufinden? Wann beginnen wir, unsere Kinder ernst zu nehmen und auch ihnen diesen Prozess einzugestehen?

Saluditos & Axé

Eure

Aida S de Rodriguez

 

 

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Foto © altanaka, bei Fotolia.

About The Author

Aida S. de Rodriguez

Aida ist Mutter eines Zwillingspärchens und eines ein Jahr jüngeren Sohnes. Ihre Kinder wachsen interkulturell, mehrsprachig sowie bedürfnisorientiert auf. Als Coach, Beraterin und Trainerin begleitet sie Menschen rund um die Themen Unerzogen, Selbstwirksamkeit, Transformationsprozesse und Diversity. Ihre Vision ist ein gleichwürdiges Miteinander aller Menschen. Dafür setzt sie sich für die Rechte von Kindern auf gewaltfreien Umgang sowie auf ein selbstbestimmtes Leben und Lernen ein.

4 Comments

  • Christina

    Reply Reply 24. Juni 2017

    Liebe Aida,

    wahre Worte, die mich tief berühren. Ich verlor meinen Vater mit 13 Jahren und auch heute 30 Jahre später ist die Trauer ein Teil von mir. Wellenartig – mal mehr mal weniger. Unser Leben ist ein Kommen und Gehen und je besser wir es verstehen und achtsam jeden Moment leben, desto zufriedener und glücklicher können wir sein. Und ja- wir versuchen unsre Kinder vor den Verlusten und der Trauer zu schützen und dabei sind sue es, die hab Zeiten können, wie man Trauer lebt und sie nicht wegschiebt.

    Danke für diesen Artikel.

    Alles Liebe Christina

  • Dagmar

    Reply Reply 26. Juni 2017

    Liebe Aida.
    Danke für den wunderbaren Artikel. Uns hat gerade erst gestern die Trauer mit voller Wucht getroffen. Unser Familienhund ist gestern gestorben. Und obwohl wir wußten, dass sie bald sterben wird, bricht der Tod dann doch einen Damm. Unsere Hündin war die Kindheitsbegleiterin meiner Kinder. Sie war als Welpe todkrank und ich habe sie am Körper getragen, bis sie überlebte. Doch das Leben ist immer nur geliehen und nach 13 1/2 wunderbaren Jahren hat sie uns verlassen.
    Doch trotz aller Trauer war es ein wunderbarer Abschied. Unsere 4 Kinder, meine Mutter und wir saßen im Wohnzimmer bei unserem toten Hund, schmückten ihn mit Blumen aus dem Garten und sangen zusammen.Das war so wichtig.
    Meine Jüngste sagte gestern: Heute machen wir eine Hundeparty.
    Ja, und du hast recht. Niemand kann über die Trauer eines anderen entscheiden. Und wenn es ein kleines Spielzeug ist, über das ein Kind trauert, dann darf das genauso Platz haben wie jede andere Trauer.

  • AVEC QUATRE

    Reply Reply 26. Juni 2017

    Vielen Dank für diesen wundervollen Artikel! Wir haben leider schon öfters zusammen Trauern müssen, aber eben zusammen und ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Kinder diese Phase dadurch besser verkraften konnten. Ich kann mir nicht vorstellen, wie hart es sie getroffen hätte, wenn wir sie nicht langsam auf den kommenden Tod der Ur-Oma vorbereitet. Ich selbst musste mich ja auch damit auseinandersetzen und mich darauf vorbereiten, wie könnte ich also von den Kindern anderes erwarten…

    Liebe Grüße
    Rebecca

  • Klaus

    Reply Reply 16. Oktober 2017

    Hallo Aida,
    deine Texte sind rhetorisch sehr gut geschrieben, dennoch kann ich deinem Inhalt zwecks der Trauer nicht ganz zustimmen. Wie es mit deiner Tante gelaufen ist tut mir leid für dich, hier liegt die Schuld an deinen Eltern die sich nicht richtig verhalten bzw. ungeschickt haben in der Situation. Ich habe als Kind auch meinen Opa verloren und bin meinen Eltern heute noch dankbar, die es geschickt verstanden, das Trauern wie ich es heute als Erwachsener kenne, mir dies damals als Kind zu ersparen! Ich möchte, dass es meinen Kindern so ergeht mit Trauen umzugehen wie es mir ergangen ist und nicht wie es dir ergangen ist.
    Gruß Klaus

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