Einer Mutter das Stillen zu verbieten ist strukturelle Gewalt – Warum auch du Verantwortung trägst

In der vergangenen Woche wurde ein 16-jähriges Mädchen in Brasilien von über 30,  in Zahlen – DREISSIG – Männern brutal vergewaltigt. Als ob dies nicht tragisch genug wäre, wurde die Tat per Video und Foto dokumentiert und anschließend von den Tätern in verschiedenen online Netzwerken veröffentlicht. Mehr dazu hier.

In Brasilien, aber auch in der Onlinewelt wird derzeit kaum über etwas anderes gesprochen. Viele sind über die grausame Tat bestürzt und es formiert sich der offene Widerstand gegen eine „Kultur der Vergewaltigung“ im Land. Dass dies kein alleiniges brasilianisches Problem ist, zeigen die systematischen Überfälle auf Frauen in Indien, der Umgang mit den verschwundenen Frauen in Mexiko, die Berichte von Frauen auf der Flucht aus Kriegsgebieten und letztlich auch unser aller Alltag, wenn wir als Frau auf die Welt kommen.

Wir reden also über Frauenfeindlichkeit, Unterdrückung und eine Kultur des Machismo. Dieser ist allgegenwärtig und wird sehr deutlich, wenn Stimmen laut werden, die dem Opfer die Schuld und Verantwortung geben. Männer, aber auch Frauen, die das Opfer in Frage stellen. Menschen, die sich für den Werdegang, die Kleidung oder das Verhalten des Mädchens interessieren, die die Täter für krank erklären und so die strukturellen Ursachen von Gewalt an Frauen völlig von sich weisen.

Nichts auf dieser Welt rechtfertigt eine Vergewaltigung.

Wenn dreißig Männer sich an einer Frau bedienen, dann liegt dies nicht an irgendeiner Krankheit. Es geht um Macht! Um eine Kultur, die Frauen systematisch als minderwertige Ware behandelt. Eine Kultur, die tendenziell Schwächere zum Objekt macht. Das kennen wir auch bei Kindern sehr gut, die gerne zum Gegenstand der Erziehung ihrer Eltern und Pädagogen gemacht werden.

Wenn jemand nicht eindeutig Ja sagt und nicht eindeutig bei seinem Ja bleibt, dann ist dies immer noch keine Zustimmung. Dieses Video über „Tee trinken“ auf Englisch mit portugiesischem Untertitel verdeutlicht es auf einprägsame Weise und lässt sich auch wunderbar auf andere Bereiche übertragen, in denen wir ein Nein übergehen, wie dies sehr oft Kinder erleben müssen:

 

 

Der ein oder andere mag sich nun fragen, was dies hier mit Elternschaft, Transformation und vor allem mit uns am anderen Ende der Welt zu tun hat.

Parallel zum oben genannten Fall verfolgte ich vergangene Woche recht sprachlos zwei weitere Diskussionen. Eine davon wurde bereits von verschiedenen Bloggerinnen aufgegriffen. Es betrifft den Fall einer jungen Mutter, die es beim Abholen ihres zweijährigen Kleinkindes vom Kindergarten zu stillen pflegt. Sie wurde von der Erzieherin ihres Kindes gebeten, dies zu unterlassen, sowohl im Gebäude als auch außerhalb des Gebäudes auf einer sich in der Nähe befindenden Bank. Einige Eltern fühlen sich, so die Erzieherin, davon gestört.

Einige der Teilnehmer der dann auf Facebook entfachten Diskussion waren der Meinung, sie müsse doch auf die anderen Eltern, die sich offenbar von einer stillenden Brust gestört fühlen, Rücksicht nehmen. Eine Bloggerin (!) nahm das Thema auf und argumentierte tatsächlich damit, dass eine Frauenbrust für andere ja eben „ein ästhetisches weibliches Lustobjekt“ sei und da müsse „frau“ doch Toleranz walten lassen.

Das muss man sich wirklich einmal vor Augen führen: weil jemand mich zum Objekt seiner Lust macht, muss ich meinem Kind sein Bedürfnis nach Nähe und Nahrungsaufnahme verwehren! Echt jetzt?

Was passiert da?

Ein Kleinkind wird gestillt.

Ein Kleinkind kuschelt nach einem langen Tag mit seiner Mutter.

Ein Kleinkind nimmt Nahrung zu sich.

Es ist eine Frauenbrust.

Es ist eine Brust.

Das ist alles!

Nein, stillende Mütter müssen sich nicht verstecken. Es geht hier auch nicht einfach um Unwissen über das Stillen. Es ist strukturell, es ist Unterdrückung. Eine stillende Mutter muss nicht auf eine frauenfeindliche Kultur Rücksicht nehmen.

Wir alle sind in der Verantwortung, als Gesellschaft aufzuwachen und strukturelle Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen und Kindern zu erkennen. Wir müssen beginnen Rücksicht zu nehmen, nicht die stillende Mutter. Nicht das Kind.

Und dann gibt es noch ein drittes Thema, welches mich immer wieder mit vielen Fragezeichen im Kopf zurücklässt. Es betrifft kleine Jungs in Kleidern, pinkfarbenen Schuhen und mit lackierten Fingernägeln. Viele Eltern fürchten, ihre Kinder könnten aufgrund ihrer äußeren Erscheinung Opfer von Diskriminierung werden und unterbinden die Entscheidung ihrer Kinder offen oder subtil. Manchmal sogar ungewollt, indem sie das Kind für mögliche Reaktionen sensibilisieren. Sie wollen schützen. Und werden von Angst geleitet.

Die klare Botschaft lautet: Lasst eure Kinder tragen was sie wollen! Farben sind für alle da. Stärkt eure Kinder darin, zu sein, wer sie sind.

Was ist daran schlimm, für ein Mädchen gehalten zu werden? Ist Mädchen sein etwas Minderwertiges? Und wo ist die Schwierigkeit bei:

„Da du ein Kleid trägst, dachte ich, du seist ein Mädchen.“

„Ach so? Nee, ich bin ein Junge, der ein Kleid trägt.“

Punkt!

Wir neigen dazu „dem Opfer“ von Gewalt aller Art die Schuld zu geben und das beginnt bereits bei solchen Dingen:

  • „Zieh dir das nicht an, du könntest belächelt werden!“,
  • schlimmer noch „du könntest für ein Mädchen gehalten werden!!!“,
  • „Ziehe keine Miniröcke an, das könnte jemand als Einladung verstehen“,
  • „Du kannst nicht nackig spielen, es gibt Menschen mit bösen Absichten“.
  • „Das Kind ist ja auch sehr frech gewesen…“

Mit unseren besten Absichten nähren wir eine machistische Gesellschaft, eine Gesellschaft geprägt von Angst, eine Gesellschaft, in der die Opfer „selbst Schuld“ sind.

Immer wieder höre oder lese ich außerdem Berichte von Menschen, die Gewalt gegenüber Kindern erleben und nicht wissen, wie und ob überhaupt sie einschreiten sollen. Da werden Kinder beschimpft, gedemütigt, bedroht oder gar auf offener Straße geschlagen. Gerade wenn es um Erziehung geht, scheinen wir zu meinen, Kinder seien das Eigentum deren Eltern und wir haben daher nicht das Recht uns einzumischen.

Nein, nicht jeder soll es machen, wie er es für richtig hält!

Fragt euch wie ihr reagieren würdet, wenn das Opfer nicht ein Kind und der Täter deren Eltern wären. Würdet ihr da auch zuschauen?

Helft den Kindern! Und den Eltern! Oft steckt da absolute Überforderung hinter. Macht also aufmerksam, geht in Beziehung und erhebt eure Stimmen!

Ich habe keine Worte für die strukturelle Gewalt, die täglich gegenüber Frauen, Kindern und anderen diskriminierten Gruppen geschieht. Ich empfinde Trauer, es macht mich wütend und oft auch sprachlos. Aber ich bin nicht mehr ohnmächtig, sondern erhebe hier meine Stimme!

Weil ich Frau bin. Weil ich Mutter bin. Weil ich Mensch bin!!!

Ich setze mich für eine Kultur der Liebe ein, weil ich der festen Überzeugung bin, dass alle Opfer sind. In jedem Täter steckt auch ein verletztes Kind.

Wir alle tragen Verantwortung für die Gesellschaft, in der wir leben. Es sind nicht die Täter, es sind wir alle! Es ist nicht deren Sache, es geht uns alle an! Schaut hin! Lebt vor!

Aida S. de Rodriguez

About The Author

Aida S. de Rodriguez

Aida ist Mutter eines Zwillingspärchens und eines ein Jahr jüngeren Sohnes. Ihre Kinder wachsen interkulturell, mehrsprachig sowie bedürfnisorientiert auf. Als Coach, Beraterin und Trainerin begleitet sie Menschen rund um die Themen Unerzogen, Selbstwirksamkeit, Transformationsprozesse und Diversity. Ihre Vision ist ein gleichwürdiges Miteinander aller Menschen. Dafür setzt sie sich für die Rechte von Kindern auf gewaltfreien Umgang sowie auf ein selbstbestimmtes Leben und Lernen ein.

5 Comments

  • Francis Latta

    Reply Reply 29. Mai 2016

    WOW!

    Warum können nicht alle so denken?

    • Aida S. de Rodriguez

      Reply Reply 8. Juni 2016

      Danke für dein Feedback, Francis! <3

  • Maria

    Reply Reply 3. März 2017

    Dieser Artikel spricht mir aus der Seele. Ich sehe und höre täglich so viel Verurteilung und so wenig Solidarität.
    Danke dafür Aida!

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