„Ich bin nicht unerzogen.“ – oder doch „unerzogen, aber…“?

ACHTUNG, das könnte dein Weltbild zumindest irritieren:

Dieser Text enthält mit großer Wahrscheinlichkeit Rechtschreibfehler und Sätze, die grammatikalisch nicht immer kongruent sind. Auch nach 25 Jahren in Deutschland - mit Abitur, Latinum und Studium, samt Diplom-Abschluss, sowie mehrjährige Berufstätigkeit - konnte ich mir die deutsche Sprache in den Wirren meiner Multilingulität nicht so internalisieren und perfektionieren, dass ich Fehlerfrei schreibe.

Ja wirklich, das geht: gebildet sein und Fehler machen. Nicht perfekt sein und es offen aussprechen. Rechtschreibfehler sowie grammatikalische Diskordanzen fabrizieren und dennoch ein Blog schreiben! 🙂

Wer Fehler findet, darf sie gerne behalten! 😉

Nein, ich suche kein Lektorat. Vielen Dank für das nette Angebot.



„Ich bin nicht unerzogen.“

Ein Satz, viele Botschaften. Welche gemeint und gelesen wird, ist oft nicht wirklich zu ergründen. Eines scheint jedoch mittlerweile sicher: „unerzogen“, zumindest als Begriff, sorgt für Polemik und scheinbar auch für Reichweite. Da wundert es nicht, dass immer mehr Menschen sich auch öffentlich dazu äußern, eine eigene „Meinung“ kundgeben oder Gruppen mit allen möglichen Zusätzen und Spezifizierungen dazu gründen.

So weit, so gut. Ich finde es nämlich großartig, dass „unerzogen“ bekannt wird und sich immer mehr Menschen damit auseinandersetzen und auf dem Weg machen (wollen). Nicht ohne Grund habe ich meinen Blog gestartet und eine Schule gegründet, die unerzogen im Konzept trägt. Noch vor einem Jahr wurde mir ein Auftrag für das Halten und Gestalten eines Seminares in einer KiTa aufgrund meines offenen Bekenntnisses zu unerzogen wieder aufgekündigt. Umso besser, dass der Begriff und die Bewegung immer mehr Raum bekommen.

Wie das aber immer so ist, gibt es auch Schattenseiten. Eine überzogene Erwartungshaltung an einzelne Menschen und Gruppen sowie Allgemeinplätze und Pauschalisierungen über eben diese, ist eine davon. Ich höre und lese immer wieder „diese Gruppen“ und / oder „die Unerzogenen“ sind so und so. Sie sollten doch aber so und so sein, wenn sie doch unerzogen sind. Da bin ich jedes Mal zumindest erstaunt und schwanke manchmal zwischen „Mensch, das grenzt an Verleumdung“ und „Wo kommt all die Unsicherheit her und wie kann dem zugewandt begegnet werden?“.

Ich verstehe, dass wir in Gruppen idR auf der Suche nach Support sind. Das ist ein enormer Mehrwert der digitalen Welt. Die Sache ist, für unsere Erwartungshaltung sind wir selbst verantwortlich. Erwartungen an andere lenkt unser Blick nach Außen, Verantwortung hingegen nach Innen. Auch das ist ein Reifungs- und Reflektionsprozess.

Besonders dramatisch ist es aber, wenn sogenannte „Influencer“ mit viel Meinung und offenbar auch nach Jahren der vermeintlichen Auseinandersetzung mit dem Thema, ihre Ängste unreflektiert weitergeben und ein Bild über „unerzogen“ formen, die schlicht falsch ist.

Ja, f a l s c h. Und das mag ich nicht weiter unkommentiert stehen lassen.

Unerzogen ist keine Definitionssache und schon mal gar nicht eine persönliche. Es bedeutet – die Abwesenheit von Erziehung – Punkt. Unerzogen ist der Name einer Bewegung, der durch die BegründerInnen dieser bewusst ausgesucht wurde. Auch dem Erziehungsbegriff liegt in diesem Kontext eine Definition zugrunde, die den Austausch ermöglicht. Und genau die hierbei definierte „Erziehung“ wird abgelehnt und bezeichne ich deutlich als Gewalt.

Unerzogen kann als Haltung zum Leben verstanden werden oder aber auch Resultat dieser Haltung sein. Will heißen: wenn ich alle (!) Menschen respektvoll begegnet und gleichwertig sehe, dann ist Erziehung nach der oben erwähnten Definition nicht kompatibel, denn dann bin ich weder respektvoll zu Kindern, noch begegne ich sie auf Augenhöhe. Ich kann genauso Erziehung an sich als gemein betrachten, da Erziehung sich entwürdigende Methoden bedient (und per genannter Definition ist) und deswegen darauf verzichten und dies zur meiner Haltung machen, nämlich niemanden formen, manipulieren, erpressen, etc. zu wollen.

So oder so; da, wo Erziehung wegfällt, hat eine andere Qualität von Beziehung Platz und diese ist in der Tat per se vielfältig und für die Mehrheit von uns Menschen eine enorme Herausforderung. Dennoch ist eine erzieherische Beziehung, Erziehung und eben nicht unerzogen. Unsicherheit ist in diesem Zusammenhang ein enger Vertrauter. Es wundert mich daher nicht, dass Menschen an dieser Stelle zweifeln und für die vielen „Abers“, die dem Begriff „unerzogen“ zunehmend beigesetzt werden, empfänglich sind: „unerzogen, aber Gesundheitsbewusst.“, „unerzogen, aber Medienkritisch“, etc…

Soll ich euch was verraten?

Ich bin nicht unerzogen. Ich bin nicht einmal Aida.

Meine Identität ist geformt durch meinen Umgang mit der Vielfalt, der durch mich gemachten Erfahrungen. Jedoch  l e b e  ich sehr bewusst und entschieden unerzogen und ich heiße nebenbei bemerkt auch ganz gerne Aida. 😉

Daneben bin (?) ich Medienkritisch und Umwelt- sowie Gesundheitsbewusst. Jedenfalls setze ich mich mit all dem bewusst und kritisch auseinander (Sprache ist schon was feines, wa?). Ja, sogar in Bezug auf Ernährung und der Zahnhygiene! Feministin bin ich auch noch. Und all das, gerade weil unerzogen. Ja, ehrlich. Ich ernähre mich zunehmend vegan, dank unerzogen. Ich beschäftige mich mit Bildungsfreiheit und -vielfalt, dank unerzogen. Ich bin Umweltbewusster geworden, dank unerzogen. Usw.

Es ist höchstens ein UND, kein trotz oder gar „aber“.

Unerzogen bedeutet auf Erziehung zu verzichten und eröffnet die Möglichkeit wahrhaftig in seine Verantwortung zu kommen. Es bedeutet nicht seine Kinder sich selbst zu überlassen. „Ich vertraue meinen Kindern, aber…“ ist kein Vertrauen. „Ich lebe unerzogen, aber reguliere die Ernährung und den Medienkonsum meiner Kinder“ ist nicht Erziehungsfrei. „Ich finde schlagen falsch, aber ein Klaps hat noch nie geschadet“ ist nicht Gewaltfrei (und ignorant noch dazu). Das „aber“ kennen wir doch ausreichend auch noch aus anderen Zusammenhängen…

Ich erziehe meine Kinder nicht UND mir sind unsere Umwelt und Ernährung, ihre Gesundheit und Integrität sowie ein kritischer Umgang mit den Inhalten in den Medien äußerst wichtig. Es ist nicht explizit, sondern viel mehr impliziert. Gerade weil ich unerzogen lebe, ist mir all das sehr wichtig. All das ist mir wichtig, gerade deshalb lebe ich unerzogen. Es ist impliziert und in meinem Fall kausal. Und ja, es gibt sicherlich auch Menschen, die auf Erziehung verzichten und all das womöglich unwichtig ist. Doch hat dies nichts mit unerzogen per se zu tun. Es gibt in diesem Zusammenhang also kein „aber“ oder „trotzdem“, höchstens ein „und“, vielmehr jedoch ein „Punkt“.



Unerzogen ist die Abwesenheit von Erziehung. Punkt.

Ich brauche keine Erziehung, um meiner Verantwortung gegenüber meinen Kindern beizukommen. Vielmehr steht mir Erziehung der Verantwortungsübernahme im Wege.

Kindern die Fähigkeit der Selbstregulation zuzugestehen, bedeutet nicht die Verantwortung abzugeben. Kinder zu regulieren, ist keine Übernahme von Verantwortung. Genauso wenig bedeutet nicht zu regulieren, dass diejenige Person verantwortlich handelt oder derjenige, der reguliert unverantwortlich. Diese Kausalitäten existieren nicht pauschal, auch wenn einzelne diesen Anschein erwecken mögen. Es offenbart aber sehr oft, im entsprechendem Kontext, das zugrundeliegende Mindset, insbesondere gegenüber Kindern.

Dabei ist es zumindest genauso interessant zu erfahren, warum das Vertrauen in das oder gar die Kinder fehlt, welche Ängste sich dahinter verbergen und was es mit dem Selbst zu tun hat, wenn reguliert wird; wie darüber zu philosophieren, warum Kinder (oder dieses eine Kind) unsere Unterstützung benötigen oder warum Medien und Zucker mit Vorsicht zu genießen sein können.

Nein, ich gebe meinen Kindern keine Kettensäge an die Hand UND auch nicht vollkommen unreflektiert meine Ängste weiter.

Saluditos & Axé

Aida S. de Rodriguez

 

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Foto: chocolates4me, Fotolia.

About The Author

Aida S. de Rodriguez

Aida ist Mutter eines Zwillingspärchens und eines ein Jahr jüngeren Sohnes. Ihre Kinder wachsen interkulturell, mehrsprachig sowie bedürfnisorientiert auf. Als Coach, Beraterin und Trainerin begleitet sie Menschen rund um die Themen Unerzogen, Selbstwirksamkeit, Transformationsprozesse und Diversity. Ihre Vision ist ein gleichwürdiges Miteinander aller Menschen. Dafür setzt sie sich für die Rechte von Kindern auf gewaltfreien Umgang sowie auf ein selbstbestimmtes Leben und Lernen ein.

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